Vergleichende Übersicht: Donut-Ökonomie – Gemeinwohl-Ökonomie
von Christian Felber
Das Buch, das von seinem „spirit“ her der Gemeinwohl-Ökonomie bisher vielleicht am nächsten kommt und dieser einen soliden theoretischen Rahmen gibt, ist die „Donut-Ökonomie“ von Kate Raworth.
Ich verschlang die englische Version, nachdem ich das Doughnut-Diagramm seit rund zwei Jahren in meinen Vorträgen standardmäßig verwende und, davon inspiriert, die Idee der „Ökologischen Menschenrechte“ entwickelt habe. Das nun vorliegende und nach dem Donut benannte Buch ist in England zu einem absoluten Bestseller geworden und liegt bereits in zahlreichen Übersetzungen vor.
Kate Raworth räumt darin mit einer langen Reihe von Glaubenssätzen und Fehlannahmen der neoklassischen Wirtschaftswissenschaft auf und präsentiert sieben neue Denkansätze für die Ökonom*in des 21. Jahrhunderts. Kern der Innovation von Raworth ist, dass sie es als Hauptaufgabe der Ökonomie und damit auch der Wirtschaftswissenschaft sieht, die globale Ökonomie innerhalb der Begrenzungen des „Donuts“ zu steuern: oberhalb des „sozialen Limits“ und unterhalb des „ökologischen Limits“. Wirtschaft sei nicht zu „verstehen“, sondern zu designen, plädiert die Ökonomin, die Expertin für Oxfam war und aktuell an der Universität Oxford unterrichtet.
Ich hatte das Glück, Kate nun schon zweimal persönlich zu begegnen, einmal in der Schweiz und einmal in Belgien, wo wir gemeinsam vom Mo-Magazin interviewt wurden. Am 22. April kommt Kate auf Einladung des ORF, des GWÖ-Forschungsvereins und der Gesellschaft für Plurale Ökonomik nach Wien, hier ist die Einladung.
Gemeinsam mit Kate habe ich einen vergleichenden Überblick der beiden ganzheitlichen alternativen Wirtschaftsmodelle "Donut" und "GWÖ" verfasst:
Vergleichende Übersicht: Donut-Ökonomie – Gemeinwohl-Ökonomie
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Donut |
GWÖ |
Theorie |
Ganzheitlich |
Ganzheitlich |
Einbeziehung von |
Kognitive Linguistik, Psychologie, Ökologie, Feminismus, Erdsystemwissenschaften, Commons-Theorie, Systemtheorie, Institutionen-Ökonomik, Biomimicry, Soziologie, Geschichte, Ethik. |
(Sozial-)Psychologie, Soziologie, Erziehungswissenschaft, Neurobiologie, Evolutionsbiologie, Spieltheorie, Commons-Theorie, Feminismus, Ökologie, Systemtheorie, Philosophie und Ethik. |
Wirtschaftswissenschaft |
Es geht nicht um die Entdeckung von ökonomischen Gesetzen (die gibt es nicht), sondern um die Schaffung eines effektiven Designs der Wirtschaft. |
Die Frage ist nicht: Wir funktioniert die Wirtschaft (von Natur aus)? Sondern: |
Struktur des Modells |
7 neue Denkweisen für die Ökonom*in des 21. Jahrhdts (Fokus Wi-Wissenschaft) |
20 Grundbausteine einer alternativen Wirtschaftsordnung (Fokus Wi-Politik) |
Ansatz |
Plädoyer eher für neue Denkweisen denn für spezifische Politiken oder Institutionen |
Plädoyer für eine neue Rahmenordnung für Wirtschaft und Institutionen |
Weltanschauung & Paradigma |
Die Ökonomie dient der Befriedigung der Bedürfnisse aller innerhalb der Grenzen des Planeten. Ökonomische Institutionen – von Geld bis Märkte – sind menschengemacht und können jederzeit neu gestaltet werden. |
Ganzheitliches Denken, die Wirtschaft ist kein Selbstzweck und kein selbstreferenzielles System, sondern ein Mittel, um höheren Zielen zu dienen. Märkte sind 100% menschengemacht (soziale Subsysteme) und von daher veränderbar. |
Sektoren des Wirtschaftens |
Vier Grundformen der ökonomischen Versorgung: |
Typen ökonomischer Aktivität: Selbstversorgung, Geschenk-Ökonomie, Märkte, Gemeingüter (Allmenden) und Staat. |
Kern des Modells |
Der Donut als das Ziel für das 21. Jahrhundert: die Bedürfnisse aller innerhalb der Grenzen des Planeten befriedigen; die Wirtschaft wird zum Mittel dafür. |
Ziel (Gemeinwohl) & |
Ziel (Wirtschaft) |
Menschliches Wohlergehen in einem blühenden Netz des Lebens – im Donut |
Gemeinwohl, das alles Leben einschließt, demokratisch definiert. |
Mittel |
Nachhaltiges und verteilungsgerechtes Design der Wirtschaft |
Gesetze, Anreize, Vorbilder, Bildung und Bewusstseinsbildung. |
Erfolgsmessung
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Die Maßstäbe des Donuts, abgestimmt auf alle Ebenen: Haushalt, Unternehmen, Stadt, Staat, Staatengemeinschaft. |
BIP → Gemeinwohl-Produkt |
BIP-Wachstum |
BIP ist eine Folgegröße, die langfristig die Form einer S-Kurve annimmt |
BIP-Wachstum = irrelevant (außer als Bezugsgröße für Steuern oder Geldmenge) |
Kooperation - Wettbewerb |
Wir engagieren uns typischer Weise in bedingter Gegenseitigkeit, und praktizieren sowohl Kooperation als auch Wettbewerb |
Kooperation belohnen (je systematischer, desto stärker), Konkurrenz negativ anreizen, “Kontrakurrenz” stark negativ anreizen |
Care Work |
Der Haushalt ist der Kern der Ökonomie. Care Arbeit sollte anerkannt, belohnt und geschlechter-gerecht aufgeteilt werden. |
Öffentliche Dienstleistung, bezahlt, mit Anreizen für gleiches Engagement der Geschlechter. |
Arbeitszeit |
Kürzere Arbeitswochen wären ein Weg zur Umverteilung von bezahlter Arbeit und würden gleichzeitig Zeit für Commons, Haushalte und Muße schaffen. |
20 Stunden (in langsamer Annäherung) um Zeit umzuverteilen in Richtung Selbstversorgung, Beziehungen, Commons, Gemeinwesen und ein gutes Leben für alle. |
Ungleichheit |
20. Jahrhundert: Begrenzung der Ungleichheit durch Umverteilung des Einkommmens; |
Negative Rückkoppelungen für: |
Eigentum |
Gerechte Verteilung der Verfügungsmacht über die Quellen der Wohlstandserzeugung: Gesundheit & Bildung; Energie- und Informationssysteme; Unternehmenseigentum; Boden und Immobilien; Technologie; Geldschöpfung. |
Vielfalt an Eigentumsformen: |
Unternehmenseigentum |
Selbstverwaltete Unternehmen, Genossenschaften und andere Formen der streuenden Eigentümer*innenschaft fördern |
GW-Bilanz fördert Dekonzentration der Entscheidungs- und Eigentumsmacht, wird verstärkt durch negative Feedbackmechanismen. |
Soziale Verantwortung von Unternehmen, Corporate governance |
Zweck, Governance, Netzwerke, Eigentum und Finanzierung eines Unternehmens bewerten: sind sie (re)generierend oder degenerierend? Rahmenwerke wie GWÖ, Reporting 3.0 oder Future Fit Benchmark. |
Gemeinwohl-Bilanz (DNA aller Rechtsformen), verknüpft mit verschiedenen positiven/negativen Anreizen: Steuern, Zölle, Zinsen, öffentliche Beschaffung, Wirtschaftsförderung, Forschungsprojekte, ... |
Werbung |
Menschen haben keine ‘fixen Präferenzen’ sondern eher fließende Werte, die täglich aktiviert werden können, z.B. durch Werbung. |
- Verzicht auf Werbung in Massenmedien |
Geldschöpfung |
Das Design des Geldes – seine Schöpfung, Eigenschaften, Verwendungen – beeinflusst unser Verhalten, Beziehungen und Verteilung. |
Von Vollgeld zum Souveränen Geld |
Geldsystem |
Wechsel vom aktuellen monetären Monokultur zu einem ökosystemaren Design von Währungen |
Geld ist ein öffentliches Gut: Democratisches Design von Zentralbanken, globale (ICU) und lokale Komplementärwährungen. |
Zinsen |
Zinsen funktionieren konträr zur Thermodynamik des Lebens. Könnte eine Schwundgeld-Währung so angelegt werden, dass sie sozial und ökologisch nachhaltige Investitionen fördert? |
Negativzinssystem für Sparer*innen, durchschnittlicher Kreditzins von null Prozent für Investitionen, kombiniert mit einer ethischen Bonitätsprüfung für Kredite – auch, um Inflation zu vermeiden. |
Banken |
Ethisches Banking fördern, das in Übereinstimmung mit dem “lebendigen Sinn” von Unternehmen ist. |
Gemeinwohl-Banken und Gemeinwohl-Börsen (private und öffentliche), die eine Gemeinwohl-Prüfung (ethische Bonitätsprüfung) bei allen Finanzierungen (Fremd- oder Eigenkapital) durchführen, deren Ergebnis entscheidend ist. |
Technologie |
Open-source-Software und -Hardware oder Creative-Commons-Lizenzen fördern, als Mittel, um den Zugang zu den Quellen der Wohlstandserzeugung zu verbreitern. |
Technologie ist ebenfalls nur ein Mittel. |
Ökologie |
Mit und innerhalb der Zyklen der lebendigen Welt arbeiten: nachhaltiges Design, cradle-to-cradle, Open Source Circular Economy |
GW-Bilanz und -Prüfung, Cradle-to-cradle, Ökosoz. Steuerreform, Globales Ressourcen-management, Ökologische Menschenrechte, ... |
Resilienz |
Diversität, Redundanz, verteilte Netzwerke. Resilienz durch Evolution: diversifiziere – selektiere – verstärke! |
Dezentrale Strukturen, Vielfalt, negative Rückkoppelungen, BürgerInnen-Beteiligung (souveräne Demokratie) |
Was wirklich zählt |
Leben im Donut ist die Voraussetzung für alles, was wirklich zählt: für das Wohlergehen der Menschen – wie es Manfred Max Neef mit den Grundbedürfnissen gezeigt hat. |
8 neue Unterrichtsinhalte: Gefühlskunde, Kommunikations-, Werte-, Demokratiekunde, Naturerfahrung, Körpersensibilisierung, Handwerk und Kunst. |
Kraftquellen |
Wähle mit Bedacht die Begriffe und Bilder, die Du zeichnest, verwendest und lehrst. |
Gelingende Beziehungen: |
Christian Felber und Kate Raworth, 20. März 2018
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